Jürgen Habermas
Philosoph und Soziologe
Jürgen Habermas
Philosoph und Soziologe
Jürgen Habermas ist einer der national und international bekanntesten und meistrezipierten deutschen Philosophen und Soziologen. Er studierte an den Universitäten Göttingen, Zürich und Bonn und promovierte 1954 in Bonn mit einer Dissertation über Schelling. 1956 ging er als Forschungsassistent an das Institut für Sozialforschung der Universität Frankfurt und habilitierte sich 1961 bei Wolfgang Abendroth in Marburg mit Strukturwandel der Öffentlichkeit, seiner ersten vielbeachteten Arbeit über die Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Nach einer ausserordentlichen Professur in Heidelberg kehrte er 1964 an die Universität Frankfurt zurück und übernahm als Nachfolger Max Horkheimers den Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie. 1971 wechselte er als Co-Direktor (zusammen mit Carl Friedrich von Weizsäcker) an das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg und kehrte 1983 als Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie nach Frankfurt zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte.
In den 1960er Jahren war Habermas der führende Vertreter der zweiten Generation der „kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule. In dieser Zeit wurde er mit Erkenntnis und Interesse (1968), einer Arbeit über die sozialpsychologischen Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis, weit über Deutschland hinaus bekannt. Anfang der 1970er Jahre kam es zu dem, was der „linguistic turn“ in seiner Philosophie genannt wird, der Einbeziehung der Sprachphilosophie in seine Gesellschaftslehre. Das Ideal seiner Theorie wurde die „herrschaftsfreie Kommunikation“. 1981 erschien sein Opus magnum Theorie des kommunikativen Handelns, das oft als sein Hauptwerk angesehen wird. Habermas’ Theorien konzentrieren sich auf die Bedeutung öffentlicher Diskussionen und demokratischer Beteiligung für eine freie und gerechte Gesellschaft. Er entwirft eine Handlungs- und Gesellschaftstheorie der „kommunikativen Rationalität“, wonach allgemein akzeptierte Verständigung nur auf der Grundlage rationaler Argumente und Überzeugungen geführt werden könne und die Macht in einer Gesellschaft auf einem Konsens basiere, der im öffentlichen Diskurs erreicht werden solle. In Faktizität und Geltung (1992), seinem zweiten Opus magnum, fragt er nach der Rolle des Rechts in der modernen Gesellschaft und plädiert für eine normative Grundlage des Rechts, die auf einer gemeinsamen Sprachpraxis und einer demokratischen Teilhabe beruht. Sein 2019 erschienenes Opus summum Auch eine Geschichte der Philosophie ist ein grossangelegter Durchgang durch die Geschichte des westlichen Denkens anhand der Leitbegriffe Glauben und Wissen, dessen Rezeption gerade erst begonnen hat.
Jürgen Habermas war an allen großen theoretischen Debatten der Bundesrepublik beteiligt und bezog zu gesellschaftspolitischen Kontroversen wie Historikerstreit, Bioethik, deutsche Wiedervereinigung, Europäische Integration, Irak-Krieg, Pandemie und Grundrechte sowie zuletzt zum Russisch-Ukrainischen Krieg dezidiert Stellung.
Für seine Arbeit hat Habermas zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Kyoto-Preis, den Holberg-Preis für seine „grundlegenden Theorien über Diskurs und kommunikative Aktion“, den Bruno-Kreisky-Preis für sein „literarisches und publizistisches Gesamtwerk“ und den Kluge-Preis. Er ist Mitglied u.a. der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der British Academy, der Russischen Akademie der Wissenschaften und der American Academy of Arts and Sciences. Zu den vielen Universitäten, die ihm einen Ehrendoktor verliehen, gehören auch die Hebräische Universität Jerusalem und die Universität Tel Aviv.